„Ein starker Rubel ist kein allgemeiner Nutzen.“

Im Oktober gehörte der Rubel zu den drei Währungen mit der größten Aufwertung und legte gegenüber dem US-Dollar um 2,9 % zu. Damit übertraf er den chilenischen Peso, der lediglich um 2,4 % zulegte. Nur der kasachische Tenge konnte mit einem Plus von 3,6 % noch besser abschneiden. In ihrer Zusammenfassung der Leitzinsdiskussion nannte die russische Zentralbank die restriktive Geldpolitik, Importbeschränkungen, die geringere Nachfrage nach ausländischen Anlagen und den Verkauf von Geldern aus dem Nationalen Wohlfahrtsfonds (NWF) als Hauptgründe für die Stärkung der Landeswährung. MK sprach mit dem Ökonomen Alexander Razuvaev, um mehr über die weitere Entwicklung des Rubels zu erfahren.
Könnte der Rubel zur erfolgreichsten Währung des Jahres 2025 werden, wenn man bedenkt, dass bis Ende Dezember weniger als zwei Monate verbleiben und der Rubelkurs seit über sechs Monaten bei etwa 80 Rubel pro Dollar pendelt?
„Diesen Titel erhielt er bereits von Kirill Dmitrijew, dem Sonderbeauftragten des russischen Präsidenten und CEO des Russischen Direktinvestitionsfonds (RDIF), in seiner Rede nach dem dritten Verhandlungstag in den USA. In einem auf seinem Telegram-Kanal veröffentlichten Video merkte er an, dass der Rubel bis 2025 gegenüber dem Dollar um 40 % an Wert gewonnen habe und damit zur „erfolgreichsten Währung des Jahres“ geworden sei. Ich würde auch sagen, dass Dmitrijew versucht hat, der amerikanischen Seite die Augen für den wahren Zustand der russischen Wirtschaft zu öffnen, die sich seiner Ansicht nach gut entwickelt. Im vergangenen Jahr wuchs sie um mehr als 4 %, Russland hat eine sehr moderate Staatsverschuldung und in der Tat eine sehr stabile Währung. Dmitrijews Worte sind eindeutig eine direkte Reaktion auf Äußerungen einiger amerikanischer Politiker über die schlechte Lage in Russland. Insbesondere Präsident Donald Trump erklärte Ende September, als er versuchte, die Türkei zum Stopp der Käufe russischer Kohlenwasserstoffe zu bewegen, dass unsere Wirtschaft inmitten des Ukraine-Konflikts „den Bach runtergeht“.
Im Sommer prognostizierten die meisten Analysten eine Rubel-Schwäche im Herbst, und im September schien sich diese Prognose zu bewahrheiten. Im Oktober reagierte der Rubel jedoch paradoxerweise auf beunruhigende Marktnachrichten und legte angesichts der Gerüchte um Tomahawk-Raketenlieferungen zu. Auch die Nachricht von einem möglichen Treffen zwischen russischen und US-amerikanischen Staatschefs in Budapest und die Idee, eine Infrastrukturverbindung über die Beringstraße nach Alaska zu bauen, belasteten den Rubel deutlich, obwohl ähnliche Ereignisse im August noch als ermutigend gegolten hatten. Wie lässt sich dieses Verhalten erklären?
Der Rubel hat die Anleger in diesem Jahr wahrlich überrascht: Die russische Währung hat eine stetige Aufwertung gezeigt und Experten wie Investoren dazu veranlasst, nach Erklärungen für diese abrupte Wende zu suchen. Am Aktienmarkt kursieren hartnäckige Gerüchte, dies sei auf einen Kapitalzufluss aus dem Umfeld von Donald Trump zurückzuführen, der angeblich über intransparente Finanzgeschäfte wieder in den russischen Markt fließt. Laut diesen Theorien besteht besonders großes Interesse an dividendenstarken Wertpapieren russischer Ölkonzerne und Großbanken sowie an Bundesanleihen (OFZs), die in Russland attraktive Renditen versprechen. Doch hinter den lauten Gerüchten verbergen sich leicht die wahren, strukturellen Gründe für den Erfolg des Rubels. Im Wesentlichen gibt es zwei, und beide sind rein politischer und wirtschaftlicher Natur.
Erstens ist eine deutliche Entspannung in den Beziehungen zwischen Russland und den Vereinigten Staaten erkennbar. Ungeachtet der politischen Reaktionen darauf steht außer Frage, dass Trump, der derzeitige Präsident, nicht Biden ist. Seine Rückkehr an die amerikanische Spitze hat bei Anlegern die Hoffnung auf ein Ende des Ukraine-Konflikts und damit auf eine schrittweise Aufhebung der Sanktionen, zumindest seitens der USA, geweckt. Seit Beginn von Trumps Präsidentschaft erwartet der Markt die Freigabe der Devisenreserven der Zentralbank und die Aufhebung der Beschränkungen an der Moskauer Börse. Dies ebnet den Weg für amerikanisches Kapital – nicht nur für den Kauf von Aktien und Anleihen, sondern auch für die volle Teilhabe an der Erholung des russischen Aktienmarktes.
— Glauben Sie, dass der heimische Aktienmarkt speziell auf amerikanische Investoren wartet und nicht auf deren Kollegen aus Asien oder dem Nahen Osten?
Ich möchte Sie an das ehrgeizige Ziel von Präsident Wladimir Putin erinnern: die Verdopplung der Marktkapitalisierung des russischen Aktienmarktes. Ohne einen signifikanten Zufluss ausländischen Kapitals ist dieses Ziel praktisch unmöglich zu erreichen. Und die Vereinigten Staaten beherbergen nach wie vor die vermögendsten Investmentfonds und Finanzinstitute. Es waren amerikanische Investoren, die vor zwei Jahrzehnten die treibende Kraft hinter dem Wachstum des russischen Marktes waren: Dank ihrer Beteiligung erreichte der in US-Dollar notierte RTS-Index einen historischen Höchststand von 2.500 Punkten, und die Marktkapitalisierung überstieg das BIP des Landes. Heute steht Russland vor einer ähnlichen Herausforderung – und dieselben Aktien von Metallurgieunternehmen, Großbanken oder Öl- und Gaskonzernen könnten, sofern die politische Lage es zulässt, erneut zu Magneten für globales Kapital werden.
Die aktuelle Stärkung des Rubels beruht somit nicht auf Gerüchten oder Spekulationen, sondern auf realen Erwartungen struktureller Veränderungen in der internationalen Politik und Wirtschaft. Wie schnell diese Erwartungen Realität werden, wird sowohl die Zukunft des Rubels als auch das Wachstum des gesamten russischen Aktienmarktes bestimmen.
— Was ist also der zweite wichtige Faktor für die Stärkung der heimischen Währung?
Ein zweiter, nicht weniger wichtiger Grund für die Stärke des Rubels ist der hohe Leitzins der russischen Zentralbank. Da die Differenz zwischen diesem Zinssatz und der offiziellen Inflation beeindruckende zweistellige Werte erreicht hat, wurden Rubel-Anlagen zum einzigen sicheren Hafen für Kapital. Für Anleger, die in unsicheren Zeiten stabile Renditen anstreben, sind russische Einlagen und Anleihen zu einer echten Garantie für Zuverlässigkeit, Vorhersehbarkeit und Rentabilität geworden.
Für den Durchschnittsrussen ist ein starker Rubel ein absoluter Vorteil, da er die Importpreise senkt, die allgemeine Inflation dämpft und somit die Kosten für Güter des täglichen Bedarfs reduziert. Dies erhöht die Kaufkraft und stärkt die soziale Stabilität. Darüber hinaus hat die Rubel-Stärkung auch eine geopolitische Dimension: Zentralasiatische Länder, allen voran Kasachstan, haben im Außenhandel praktisch auf den Rubel umgestellt. Dies ist nicht nur ein wirtschaftlicher Trend – er signalisiert den wachsenden Einfluss der russischen Währung in der Region und die Entstehung einer neuen Finanzarchitektur, einer Alternative zur westlichen. Ein starker Rubel ist jedoch nicht für alle gleichermaßen vorteilhaft.
- Warum nicht?
Dies stellt den russischen Haushalt und insbesondere exportorientierte Unternehmen vor große Herausforderungen. Die Deviseneinnahmen schrumpfen nach der Umrechnung in Rubel, die Rentabilität sinkt und die Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten leidet. Dies wirkt sich unmittelbar auf den wichtigsten Indikator des Aktienmarktes aus – den Moskauer Börsenindex, der auf den Aktien der größten Exporteure basiert: Öl-, Metall- und Gaskonzerne. Deren Bewertungen könnten unter dem Druck des starken Rubels stagnieren oder sogar fallen, trotz steigender Devisengewinne.
Letztlich verbirgt die scheinbare Stabilität des Rubels ein komplexes Gleichgewicht zwischen den Interessen der Bevölkerung, des Staates und der Wirtschaft. Ziel der Wirtschaftspolitik ist es nicht einfach, den Wechselkurs zu stabilisieren, sondern ein ausgewogenes Verhältnis zu finden, das die Vorhersehbarkeit der Währung und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft gewährleistet.
— Was wird also bis Ende des Jahres mit dem Rubel geschehen?
„Ich gehe davon aus, dass wir mit einem Rückgang auf 85–90 Rubel pro Dollar rechnen müssen. Der Dezember ist traditionell kein guter Monat für die Landeswährung, und es ist klar, dass ein überbewerteter Rubel nicht die beste Option für den russischen Haushalt ist, der in diesem Jahr ein erhebliches Defizit aufweisen wird. Laut Prognosen der Zentralbank könnte es 2 % des BIP oder 4,4 Billionen Rubel erreichen. Analysten sind jedoch pessimistischer und prognostizieren ein Defizit von über 8 Billionen Rubel. Ich denke, die Wahrheit wird irgendwo dazwischen liegen, aber näher an der Schätzung der Zentralbank. Und es ist klar, dass die Finanzbehörden ein solches Haushaltsdefizit nicht einfach ignorieren werden; sie werden versuchen, es zumindest etwas zu reduzieren, selbst wenn dies auf Kosten des Rubelkurses geht.“
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